Änderung der Finanzierung in der hessischen Eingliederungshilfe ab 01.07.2023

Neuer Rahmenvertrag und neue Finanzierungssystematik ab 01.07.2023  – was heißt das eigentlich? 

Im Dezember 2016 wurde das BTHG (=Bundesteilhabegesetz, offiziell: Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung) vom Bundestag beschlossen. Damit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass jeder behinderte Mensch sein Leben selbstbestimmt gestalten kann und dafür die notwendige Unterstützung bekommt.   

Im BTHG steht, dass jedes Bundesland selbst regeln muss, wie viel und auf welche Weise die Unterstützungsleistungen bezahlt werden. Die Vorgehensweise wird in einem Rahmenvertrag niedergeschrieben. 

In Hessen wurden drei Rahmenverträge ausgearbeitet. Rahmenvertrag 1 gilt für Leistungen für Kinder und Jugendliche bis zum Ende der Schulzeit, im Rahmenvertrag 2 ist die Teilhabe am Arbeitsleben festgelegt und Rahmenvertrag 3 regelt alle Angebote zum Wohnen und zur Tagesgestaltung für erwachsene Menschen mit Behinderung. 

Für die Lebenshilfe Main-Taunus spielen der Rahmenvertrag 1 und der Rahmenvertrag 3 eine Rolle. Im Rahmenvertrag 1 ändert sich für die Lebenshilfe nur wenig, es werden vor allem Standards festgeschrieben.  

Allerdings wirbelt der Rahmenvertrag 3 die Eingliederungshilfe in Hessen erheblich durch.  

Ausführlich heißt dieser „Rahmenvertrag für Leistungen zur Sozialen Teilhabe und zur Teilhabe an Bildung nach Beendigung der Schulausbildung“ gilt seit dem 01.07.2023.,  

Es sind damit vor allem in der Finanzierung große Veränderungen eingetreten. Ab sofort wird nicht mehr nach Hilfebedarfsgruppen abgerechnet, sondern es zählen die Betreuungsstunden und -minuten, die der Mensch für seine individuelle Unterstützung benötigt. Dabei spielt es keine Rolle mehr, wo der Mensch wohnt, ob in seiner eigenen Wohnung oder in einem Wohnhaus mit vielen anderen zusammen; eine Stunde Betreuungszeit kostet in jedem Angebot gleich viel. Die Idee dahinter ist, dass sich die Leistung individuell nach dem einzelnen Menschen richtet. So kann zum Beispiel in einem Wohnhaus, in dem vorwiegend Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf leben und viel Betreuung benötigen, auch jemand wohnen, der nur wenig Unterstützung benötigt – es werden dann einfach weniger Stunden vereinbart.  

Es wird lediglich unterschieden, ob die Betreuungszeit als „qualifizierte Assistenz“, also als Assistenz zur Befähigung des Menschen zur Bewältigung der Alltagsaufgaben, oder als „kompensatorische Assistenz“, also die vollständige oder teilweise Übernahme der Alltagsaufgaben, erbracht wird.  

Für Menschen, die in einer besonderen Wohnform leben (im Gesetz wird nicht mehr von stationären Wohnhäusern gesprochen) gibt es zusätzlich noch eine Pauschale für die Hauswirtschaft, d.h. die Reinigung der Zimmer und der Wäsche und die Zubereitung von Mahlzeiten, sowie – wo vorhanden – eine Nachtdienst- oder Nachtbereitschaftspauschale. Alle Menschen, die ein Angebot zur Gestaltung des Tages nutzen, bekommen eine weitere Pauschale für „besonders vorgehaltene Flächen“, also dafür, dass die Lebenshilfe Räumlichkeiten für die Betreuung tagsüber vorhält. Die Betreuung in der Gestaltung des Tages wird über die Betreuungsstunden der qualifizierten oder kompensatorischen Assistenz berechnet. 

Genauso kompliziert wie es hier klingt, ist es auch. Alle Einrichtungen in Hessen und auch der LWV (Landeswohlfahrtsverband) müssen ihre Rechnungsstellung komplett umstellen. Bisher kann noch niemand wirklich abschätzen, wie sich die neue Systematik auswirkt. 

Zum Stichtag der Umstellung am 01.07.2023 ist eine theoretische Umrechnung auf Papier erfolgt, die darauf abgezielt hat, budgetneutral zu sein; das bedeutet, die Träger bekommen nach der Umstellung den gleichen Betrag bezahlt wie vorher. Ob die errechneten Assistenzstunden wirklich zu den individuellen Bedarfen passen, muss sich erst noch herausstellen. 

Der Grundgedanke an sich klingt logisch: eine Betreuungsstunde in der Lebenshilfe kostet in allen Bereichen der Lebenshilfe gleich viel, egal wo sie erbracht wird. In Häusern, in denen Menschen mit hohem Hilfebedarf leben, kostet nicht die einzelne Stunde mehr, sondern es werden für die Betreuung des Einzelnen nur mehr Stunden benötigt. Das öffnet auch die Türen für Umzüge oder Mischmodelle, denn zukünftig ist es egal, wo die Betreuung stattfindet.  

Aber was passiert, wenn die Betreuungsstunden nicht ausreichen, um den Tag in der Wohngruppe mit den notwendigen (Fach-)Kräften abzudecken? Und wie wird sich dann die Hessischen Betreuungs- und Pflegeaufsicht dazu positionieren? Wie sollen die jeweiligen Stunden dokumentiert werden, ohne dass der Aufwand für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu groß wird? Und wie kann der durchschnittliche Bedarf an Stunden so genau berechnet werden, dass es für die Klientinnen und Klienten wirklich passt, schließlich gelten die Kostenzusagen zwei Jahre? Denn nicht erbrachte Leistungen können nur in einem bestimmten Zeitraum nachgeholt werden, sonst werden sie nicht bezahlt. 

Es sind noch viele Fragen offen und das Gelingen der Umstellung hängt maßgeblich von einem guten Miteinander aller Akteure ab: Leistungserbringer, Kostenträger, Betreuungs- und Pflegeaufsicht und Angehörige müssen bereit sein, in der Anfangszeit Kompromisse einzugehen, um praxistaugliche Lösungen zu finden. Denn alle werden Zeit brauchen, sich auf die neue Struktur einzustellen, bis die in der Theorie verhandelten Rahmenverträge sich in der Praxis bewähren. Die entsprechenden Signale zu einem offenen Austausch auf Augenhöhe haben die Verantwortlichen gegeben; für die Einrichtungen in Hessen und für die Lebenshilfe bleibt zu hoffen, dass sich alle daranhalten. 

 

 

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